Unter Umständen können intakte Fahrradinnenlager bauartbedingt axiales Spiel aufweisen. Das kann bedeuten, daß der Kurbeltrieb mit den Kettenblättern seitlich wandert! Und da der Umwerfer rahmenfest montiert ist, also nicht mitwandert, wird das unweigerlich zu „unerklärlichen“ Schaltproblemen führen, trotz einwandfreier genauer Einstellung der Schaltung. Mögliche Folgen wären Kettenabspringer wegen vermeintlichen Überschaltens, oder aber ein nicht schaltbares großes Kettenblatt, wie wenn der Umwerferanschlag zu eng justiert wäre, und viele andere subtile Ungenauigkeiten beim Schalten. Besonders unangenehm dabei ist, daß sich das Verhalten jederzeit willkürlich ändern kann. Die grade eben noch sauber funktionierende Schaltung spinnt plötzlich. Man justiert alles neu. Kurze Zeit später spinnt sie auf andere Weise wieder. Zuletzt war das System dann wieder über lange Zeit funktional, die Fragezeichen verblieben im Kopf. Ihr seht schon, das geht u.U. an die Nerven. Unnötig zu erwähnen, daß visuell alles bestens scheint, und die Bauteile alle in bestem Zustand sind, keinerlei Verschleiß oder Beschädigung ersichtlich ist.
Die Geschichte
In diesem Zusammenhang gab es bei mir nach Zig Jahren mit Fahrrädern die Tage einen großen Lern- und Aha-Effekt. Das aktuelle Umbauprojekt 2×10 auf 1×12 meines Canyon Dude Fatbikes entstand unter anderem aufgrund früherer „unerklärbarer“ Schaltprobleme, die ich nicht vergessen hatte, auch wenn es im letzten Jahr durchwegs funktionierte. Ich hatte seit einem Kettenabspringer vor langer Zeit (zum Glück ohne Beschädigung des Rahmens) immer wieder solche Probleme, die ich trotz mehrfacher genauer Einstellung und vieler Checks des Seilzugs usw. nie beseitigen konnte. Letztendlich habe ich es entnervt auf eine „Unpässlichkeit“ zwischen Shimano XT Umwerfer und e*thirteen Zweifachkurbel geschoben. Sowas ist ja auch ganz schwer erklärbar, wenn einem der Sachverhalt aus dem oberen Gsatzerl nicht bewusst ist.
Das Rätsel
Im vorgestrigen Blogeintrag beschreibe ich die Demontage meines e*thirteen Kurbeltriebs. Dabei wollte ich mir ein Bild des inneren Zustandes und des genauen Aufbaus dieses Antriebs machen. Bis zu diesem Tag hatte ich dem Innenlager des Canyon Dude keine Aufmerksamkeit geschenkt, weil die Konstruktion sich offensichtlich von meinen anderen Fahrrädern unterscheidet. Ich wusste, dass das Innenlager irgendwie eingepresst war, und allein diese Tatsache führte zu einer Art Befremdlichkeit, so daß ich nichts damit zu tun haben wollte 🙂
Die Erkenntnis
Die mir bisher bekannten Innenlager waren entweder Patronenlager, bei denen seitliches Spiel nur im Defektfall auftrat (dann Lagerpatrone tauschen), oder aber außerhalb des Rahmens befindliche Shimano Hollowtech Innenlager wie bei meinem 2souls, bei welchen zwischen den Industrielagern eine Hülse liegt, die mittels der Kurbelspannschraube über die Achse auf Druck gebracht wird, so daß die Achse mit dem ganzen Hülsenstack spielfrei geklemmt läuft.
Anders ist das beim Pressfit Innenlager des Fatbikes, bei dem das Innenlager einfach nur aus einem Lager links und einem Lager rechts besteht. Dazwischen ist nichts. Eine dicke Hohlachse wird durchgesteckt, aber man darf keinesfalls mittels irgendeiner Klemmung axialen Druck auf die inneren Lagerhülsen ausüben, da diese eben keine innere Abstützhülse besitzen, somit die Industrielager sehr schnell hinüber wären. Und das heisst zwangsläufig: es muß axiales / seitliches Lagerspiel geben. Wirklich klar bewusst geworden ist mir dieser Sachverhalt nicht bei der oben verlinkten Innenlagerdemontage, sondern erst bei der Fahrt danach. Mir war aufgefallen, daß die Kurbelarme, speziell der auf der linken Seite neuerdings extrem dicht an der Kettenstrebe vorbeiliefen. Das war schon immer ziemlich eng, aber jetzt war es fast schon knapp. Bei der Wiedermontage der Kurbel hatte ich diese offenbar stärker auf die Welle gepresst, als es bis dahin der Fall gewesen war. Zudem hatte ich dann gemäss verschiedener Anleitungen im Web auch den APS Ring noch manuell justiert, um den verbliebenen minimalen Lagerspalt wegzunehmen. So präzise wie jetzt hat der Umwerfer am Dude noch nie funktioniert. Das muß letztendlich des Rätsels Lösung gewesen sein. Sowas nenne ich eine „wertvolle Lehrstunde“, wobei es weit mehr als nur eine Stunde war. Nebenbei konnte ich mich mit dieser Innenlagerbauart anfreunden.
Konsequenzen
Mehrere Punkte kommen mir als Konsequenz aus diesen Erkenntnissen in den Sinn:
- Die Kombination aus einem solchen Innenlagertyp mit mehrfachen Kettenblättern ist vielleicht nicht die erstbeste Lösung. In Summe würde man bei einer derartigen Innenlagerbauweise von vornherein ein Einfach-Kettenblatt-System bevorzugen.
- Beim Einstellen der vorderen Schaltung gibt es also einen wichtigen Arbeitsschritt extra: Mit dem Gummihammer auf die Kurbelachse der Kettenblattseite ticken. Den ggfs. entstehenden Lagerspalt auf der anderen Innenlagerseite mittels Justage des APS Ringes wegkontern. Erst dann die Schaltungsfeineinstellung wie gehabt.
- Sollten die Kurbelarme links und rechts unterschiedliche Abstände zu den Kettenstreben aufweisen, so kann man diese Plastikdistanzringe (bei mir drei Stück auf der Antriebsseite der Kurbelachse) vielleicht anders verteilen, um die Kurbelachse symmetrisch auszudistanzieren. Danach wäre – so vorhanden – eine Neueinstellung der vorderen Schaltung nötig.
Und der Umbauplan?
Tatsächlich sieht es plötzlich so aus, als wäre der geplante Umbau von 2×10 auf 1×12 hinfällig, weil ja nun alles perfekt ist mit 2×10. Also sagen wir so: Die Argumente für einen solchen Umbau werden dünner 🙂
Allein der Reiz einer Di2 wireless Schaltung, zweier wegfallender Schaltzüge, eines wegfallenden Umwerfers, sowie die Möglichkeit einer trickreichen Innenverlegung der hinteren Bremsleitung bei wegfallendem Schaltseil lassen mich an dem Plan festhalten. Ich werde das durchziehen. Der als Nebenschauplatz getätigte Umbau der Bremsen war bereits ein voller Erfolg. Wer weiß, was sich beim Schaltungsumbau auf einen moderneren Standard noch ergibt.