Enduro vs. Ballonbike, ein Winter-Blogpost. Das Anfang Juli 2024 recht günstig erworbene neue Grand Canyon:ON 9 E-MTB mit Bosch Performance Line CX Gen 4 Antrieb, mit Smart System, Connect Modul, ABS hat viele neue technische Erfahrungen und generelle Lerneffekte gebracht. Trotz des hohen Fahrzeuggewichts macht dieses Rad Fahrspaß ohne Ende und wirkt dabei beim Fahren überraschend leichtfüssig, was ich so nicht erwartet hatte. Dazu tragen der starke Antrieb, die großen traktionsstarken Laufräder, der lange Radstand mit langen Kettenstreben (460mm), sowie die voluminöse kurze breite Lenker/Vorbaukombination bei. Das Rad ist für mich eine Art Enduro, also ein Gerät für anspruchsvolle Offroadpassagen, in ferner Erinnerung an meine früheren Sportenduro-Zeiten.
Vom gleichen Hersteller steht das 2016er Dude CF 8.0 Fatbike in der Garage direkt daneben. Auch das Dude ist ein Rad mit hohem Spaßfaktor. Da drängt sich eine Gegenüberstellung dieser total unterschiedlichen Mountainbikes zuweilen auf. Das Dude besitzt einen Carbonrahmen, sowie eine wuchtig aussehende Carbon-Starrgabel. Es fühlt sich dank dieser voluminösen und leichten Rahmenbauweise und dank der superdicken Reifen auf den 8cm breiten DT Swiss Felgen wie ein Luftballon an. Man staunt jedes Mal wieder, wenn man es herumhebt. Das ist komplett invers zum schweren Grand Canyon:ON, welches beim Herumwuchten mit seiner Länge, dem breiten Lenker und dem hohen Gewicht mühsam werden kann. Das Hinterrad beim Dude fahre ich in der hinteren von zwei möglichen Positionen und habe damit eine effektive Kettenstrebenlänge von 455mm.
Beiden Mountainbikes gemein ist, das es sich um aktuelle Fahrrad-Bauweisen handelt. Beides sind „große“ Fahrräder, die überhaupt nicht mehr an die alten kleinen filigranen Mountainbikes vergangener Zeiten aus simplen Stahl- oder Alurohren mit kurzem Radstand, kleinen Rädern, großem Rahmendreieck, schmalen Lenkern, Barends, langen Vorbauten, Ausfallenden mit Klemmachsen und Schnellspannern, dünnen Steuerrohren und Federgabeln erinnern. Es ist erstaunlich, was sich da über die letzten dreissig Jahre in Bezug auf Bauform und Technik geändert hat. Ich bin sicher, es kommen weitere spannende Neuerungen, die den Fahrradbau stark aufwerten werden. Und beide Canyon Brüder vereint die Schnörkellosigkeit im Design und in der Technik. Klare Linie, kein Teil zu viel, sehr funktional.
Ein paar Jahre sind natürlich schon vergangen zwischen diesen Rädern. Man merkt das z.B. an der Sattelform (beide Sättel sind noch Original), an der Zugverlegung, die beim Dude überwiegend ausserhalb des Rahmens erfolgt, und auch an den Schaltsystemen, sowie der Schaltwerksaufhängung (Schaltauge vs. „Direct Mount“). Auch die kleine „26er“ Felgengröße des Dude ist nicht mehr aktuell, wird aber dank der superdicken Reifen im Aussenmaß fast auf das neuere größere Format gebracht. Der Übergang auf die heutigen Großrad-MTBs ist etwas, das ich lange Zeit unterschätzt hatte. Das funktioniert schon echt gut, wie sich beim neuen Grand Canyon zeigt.
Schaltung
Beim Grand Canyon kommt pedelec-üblich ein Einfach-Antrieb mit kleinem Kettenblatt und 12-fach Pizza-Ritzelpaket im Hinterrad zum Einsatz. Das sieht beim großen ERTRO 622 Hinterrad nicht so schlimm aus und funktioniert einwandfrei. Die Bandbreite reicht trotz des hohen Rad-Gewichts für Anstiege ohne Hilfsantrieb aus! Der Verzicht auf den Umwerfer vorne erspart einiges an Teilen und Leitungen. Stattdessen hat man bei der Kurbel nur eine kleine Kettenführung zur Vermeidung von Abspringern. Das Kettenblatt hat abwechselnd schmale und breite Zähne und erlaubt das Auflegen der Kette somit nur in einer bestimmten Lage. Das Rad fährt sich bemerkenswert leichtfüssig, was mich immer wieder erfreut. Die Schaltung funktioniert super, die Gangabstufung ist völlig ok.
Beim Dude ist ein herkömmlicher Antrieb mit einer 2 x 10 Schaltung mit „großem“ und „kleinem“ Kettenblatt und einem „kleinen“ Ritzelpaket verbaut, was visuell besser mit der kleineren Hinterradfelge zusammenpasst. Man hat mehr Schaltteile und Leitungen am Rad, dafür kann man den großen Schaltsprung des Umwerfers ggfs. gut nutzen, wenn man überraschend das Tempo stark reduzieren muß, also beispielsweise bei einer Auffahrt hinter einem Sichtblock. Sowas kommt vor. Das vordere Schalten ist leider etwas mühsamer als die problemlosen schnellen Schaltvorgänge des hinteren Schaltwerks. Der Umwerfer in Kombination mit den E-Thirteen Kettenblättern ist schwieriger einstellbar und hat gelegentlich seine Macken. Das winzige Kettenblatt vorne hat aber eben den Vorteil, daß man eine extrem kurze Übersetzung zur Verfügung hat, und die kann bei so einem Crawler-Fahrrad sehr hilfreich sein.
Jedenfalls sind beide Räder gut für steile Kletterpassagen geeignet. Man hat in beiden Fällen lange Kettenstreben sowie guten Reifengrip und gute Traktion. Beim Grand Canyon kommt der echt starke Bosch Antrieb dazu, weswegen ich dieses Rad auch als „Enduro“ bezeichne. Dagegen spricht nur der starre Hinterbau, den ich aus Gewichts-, Wartungs- und Geldgründen bevorzugt habe. Bei steilen Wurzelauffahrten wäre ein gefederter Hinterbau nochmal eine Stufe traktionsstärker. In meinen beiden ungefederten Fällen hier übernehmen die dicken Reifen einen Teil, und ansonsten muß die Fahrtechnik substituieren.
Bremsen
Erwähnenswert sind auch die Bremsanlagen beider Räder. Während beim Dude normale Shimano Deore 2-Kolben-Bremsen verbaut sind, bei denen ich die Bremsscheiben (180mm und 160mm) später upgraded habe, verfügt das Grand Canyon über das Magura/Bosch 4-Kolben ABS System mit 200er Scheiben mit ABS Ring vorne und hinten. De fakto sind letztere Bremsen spürbar leistungsfähiger, allerdings liegt das auch an der vorhandenen Federgabel, welche Bremsvorgänge in jedem Fall ruhiger und gedämpfter ablaufen lässt. Das ABS funktioniert super, da bin ich happy damit. Die 200er Bremsscheiben sind dicker und solider aufgehängt als die filigraneren leichteren Scheiben beim Dude. Das merkt man auch, wenn letztere bei Nässe zuweilen extrem quietschen. Beim Grand Canyon hält sich das in Grenzen.
Räder
Die superbreiten Felgen und Reifen des Dude ergeben effektiv einen nur unwesentlich kleineren Abrollumfang als die ERTRO 622 Felgen mit 2,6″ Bereifung („twentyniner“) des Grand Canyon. Indes walken die dicken Fatbike Schlappen natürlich bedeutend stärker, was bei weichen Böden ja ein Wunscheffekt ist, um Traktion zu erhalten. Beim zügigen Radfahren und Treten mit höherer Frequenz merkt man diese ungedämpfte Reifenfederung durch eine Eigenschwingung des gesamten Rades beim Treten, was beim Fatbike immer zu einer langsameren Fahrweise zwingt. Es ist kein Sportrad für schnelle Etappen. Beide MTBs haben gute Traktion. Allerdings verbietet sich derzeit ein Vergleich aufgrund der stark abgefahrenen Fatbike Reifen, die nicht mit dem neuen und stark profilierten MTB Reifen des Grand Canyon mithalten können. Das vermindert leider den erwünschten Raupeneffekt der weichen Fatbike-Reifen im Moment sehr stark. Neue dickere 4,8″ Fatbike Reifen mit stärkerem Profil hinten sind bestellt. Bis dahin tausche ich mal Vorder- und Hinterreifen aus.
Fahr- und Lenkverhalten
Das Grand Canyon bietet ein neutrales sehr solides unproblematisches Fahrverhalten sowohl bergauf als auch bergab. Der ab Werk 35mm dicke und breite Lenker mit super solidem breitem und kurzem Vorbau und der gut funktionierenden Fox Federgabel stellen einen nie vor Probleme. Das bietet perfekte Kontrolle und Lenkbarkeit auch in heftigeren Passagen. Die Lenker/Vorbau-Konstruktion des Grand Canyon ist auf Robustheit, weniger auf Leichtbau hin optimiert, was zum Eindruck der Stabilität und Verlässlichkeit beiträgt. Das ist für ein Fahrrad bemerkenswert.
Das Dude federt allein über die dicken Reifen, und das funktioniert beim Bergabfahren im Offroad gut. Das Rad überrollt einfach alles satt. Nicht neutral stellt sich das Lenkverhalten bei langsamem Tempo oder Schräglage oder beim Bremsen an der Vorderbremse dar. Das ist mit Bereifung dieses Formats und dem vorgesehenen niedrigen Luftdruck auch nicht möglich. Bei kniffligen Streckenverläufen muß man da etwas mehr am Lenker arbeiten oder halten. Ich habe mein Dude mit einem 35mm dicken und verglichen mit der Serienausstattung etwas schmaleren 760mm breitem Renthal Leichtlenkers im superkurzen 35mm Renthal Vorbau ausgestattet. Diese Teile sind spürbar mehr leichtbauorientiert wie die Kombination am Grand Canyon.
Ausstattung
Was ich bei beiden Rädern grossartig finde, ist der Lenkeinschlagsbegrenzer: Super, daß Canyon so etwas spendiert. Sowohl bei Stürzen, als auch bei ungeschicktem Halten des Rades (z.B. beim Reinigen) können so Leitungsschäden oder ggfs. Rahmenschäden durch einschlagenden Lenker verhindert werden. Aus meiner Sicht ein wirklich starkes Feature. Dem Dude fehlt eine einfahrbare Sattelstütze, die man bei heftigen Offroadpassagen durchaus brauchen könnte. Der Rahmen bietet die Verkabelungsmöglichkeit dafür. Vielleicht rüste ich das irgendwann um. Praktisch wärs schon bei so einem Rad. Das Grand Canyon ist bereits ab Werk mit einer gut funktionierenden einfahrbaren Sattelstütze ausgestattet.
Die gesamte Elektronik des Bosch Antriebssystems unterscheided das Grand Canyon dann endgültig vom Dude, denn Canyon hat hier das volle Programm verbaut mit einer sehr großen 750Wh Batterie, mit Bosch ABS und mit dem Bosch Connect Modul. Das Rad hat also eigene Connectivity, kann getracked werden und besitzt zudem einen fix integrierten mit dem Antrieb gekoppelten Diebstahlalarm.
Nachgerüstet habe ich nur das Kiox 500 Display, weil diese Bosch Displays echt gut gemacht sind, und weil das Smart System mit dem Kiox 500 Display zusammen mit dem Smartphone eine sehr brauchbare Radnavigation erlaubt, die ich besser finde als mein altes Garmin Edge Explore Navi.
Das Dude kommt ohne Onboard-Elektronik oder -Navigation aus. Vom Radtyp her ist das auf jeden Fall ok. Lange Touren mit dem Dude („Paris-Dakar durch Dünen“) schliesse ich aktuell aus, das wird sich bis auf weiteres nicht ausgehen 🙂
Das Grand Canyon hingegen kann mit seinem starken Antrieb und großen Akku durchaus mal längere MTB Etappen absolvieren. Das wird definitiv noch passieren.
Loving it
Mit beiden Fahrrädern geht man gern auf eine Runde, hat also viel Motivation zu fahren. Beim Grand Canyon ist es die Kombination aus dem total ausgewogenen gutmütigen fahrstabilen Rad mit dem super funktionierenden starken Bosch CX Antrieb und dessen gesamter aktueller Technik, was diesem Rad – zusammen mit dem vertrauenerweckenden Vorbau-Lenker-Setup – ein wenig Enduro-Gefühl verleiht. Es ist kein Kraftfahrzeug, aber es ist definitiv mehr als nur ein herkömmliches MTB.
Das Dude beeindruckt durch die Kombination des voluminös wirkendenden Aufbaus mit dem überraschend niedrigen Gewicht, sowie durch den visuell wunderbaren robusten Carbonrahmen, dessen Form und Fertigungsweise mir irrsinnig gut gefällt. Mit dieser inzwischen ausgelaufenen Baureihe hat Canyon sich ein Denkmal gesetzt. Das Dude ist für mich DAS Fatbike schlechthin, und ich habe das Fatbike Thema ja schon ewig am Schirm, eigentlich seit dem legendären Surly Pugsley. Zudem finde ich, dass diese ältere Version des Dude mit der leichten Starrgabel, der grünen Zweifarblackierung und den kleineren (26″) Rädern mit der Möglichkeit für noch breitere Reifen attraktiver ist als die letzten Versionen mit den grösseren schmäleren Rädern. Speed ist nicht die Domäne des Fatbikes, sondern Traktion bei weichem Boden, und das bringt den Spass dabei.
Beides sind für mich sehr coole und total funktionale MTBs, die ich gerne in der Garage habe und behalte.