Honda X-ADV

Hinweis: Alle Rechte an den in diesem Artikel gezeigten Bildern liegen bei Honda.

The Mothership

Honda hat mich 2017 wieder voll erwischt. Sie bringen den X-ADV tatsächlich so, wie er als Konzeptstudie angekündigt war. Ich bin platt. Es hatte sich bereits das letzte Jahr hindurch in diversen Artikeln angedeutet, aber ich konnte es nicht glauben – bis das Ding nun auf der offiziellen Webseite erschien.

Historie

2012 war das geniale Hybridfahrzeug „Integra“ auf den Markt gekommen, das mich damals zum Erwerb des Schwestermodells NC700X gebracht hatte. Der Integra ist praktisch, technisch modern, sparsam und war damals auch optisch den meisten Großrollern überlegen. Fahrdynamisch wartete er mit einem 100%-Motorradfahrwerk und sehr tief liegendem Schwerpunkt auf. Sowas läuft cool wie ein ICE, dennoch ist das Fahrzeug handlich und insgesamt wunderbar zu fahren. Zudem war er preisgünstiger bei im Vergleich sehr guten Fahrleistungen. Das technische Highlight war das Honda Doppelkupplungsgetriebe. Mit deren „New Concept“, also dem Integra nebst dessen Schwestermodellen hatte Honda die völlig unsinnige Abgrenzung zwischen „Feierabend-Spaßmotorrädern“ und „Alltagsmotorrädern“ explizit eingerissen. Man soll schließlich auch bei der alltäglichen Bürofahrt Spaß haben, und man muß bei der lustigen Feierabendrunde nicht zwangsläufig ein kapriziös-disfunktionales unpraktisch-nerviges ineffizientes unbequemes Fahrzeug benutzen.
Stelle ich aber nun (nur anhand der Werksfotos) den bereits gründlich überarbeiteten aktuellen Integra 750 neben den X-ADV, dann strahlt ersterer im Kontrast konventionelle Ödnis aus. Ein Hammer, was Honda mit dem X-ADV da gebracht hat. Dem Reiz dieses Fahrzeugs – meiner Meinung nach der ideelle Zoomer-Nachfolger – kann ich mich nicht entziehen.

Zoomer-Nachfolger?

Watt? Nun, der Zoomer war das letzte Fahrzeug von Honda vor dem X-ADV (etwa so um 2005 herum), dessen aussergewöhnliches und eigenständiges Design mich wirklich ansprach (gut, man hatte zwischenzeitlich auch noch die sehr witzige MSX125). Der Zoomer besaß einen filigranen sparsamen haltbaren Hightech 4-Ventil 50ccm Viertakter mit elektronischer Einspritzung und Wasserkühlung (der beste Fuffimotor aller Zeiten) und sah dabei unheimlich nach Spaß aus. Ansonsten gab es designmässig den gewohnten alltäglichen Honda Standard, gelegentlich die eine oder andere Skurrilität wie das Modell „Vultus“, gemacht für eine Zielgruppe, bei der ich aussen vor bleibe, sowas sollen andere beurteilen.

Idee

Honda beschreibt in einem Interview, daß die Studie X-ADV gar nicht auf Marktanalysen beruht, sondern „nach dem Herzen“, für die Freude gebaut wurde. Ich glaube ihnen das irgendwie gerne, und das Fahrzeug strahlt auch genau das aus. Man kann nun mit unterschiedlichen Einsatzzwecken argumentieren, was auch alles seine Richtigkeit haben mag, aber eigentlich sieht das Teil aus nach „Drauf und los!!“.

DCT

4 Jahre mit der NC700X bewiesen die Tauglichkeit und den Spaß mit dem genialen DCT. Beim X-ADV soll es stark verbessert worden sein. DCT Fahren ist weder langweilig, noch nimmt es dem Motorradfahren seinen Reiz. Im Gegenteil, es gibt neue Möglichkeiten und liefert ein sehr technisches Fahrgefühl („point and shoot“), das ich schätze. Beim X-ADV stimmt nun endlich auch das Drumherum. Diese Kiste muß so sein, keine weiteren Fragen. Das Lästern über Hondas konventionelles Design – zuletzt schmerzhaft bei der neuen für mich zu tourig oder old-style mäßig gestalteten Afrika Twin – hat ein Ende.
Wenngleich der 55PS NC-Motor verglichen mit dem 75PS Motor der leichten Yamaha MT-07 behäbiger ist, so verhilft er dem Fahrzeug immer noch zu subjektiv kräftigen Fahrleistungen, dank der breiten Leistungskurve. Dabei bleibt er in jedem Betriebsmodus sehr sparsam und steht für gute Langzeithaltbarkeit. Aber hier muß man sich klar entscheiden zwischen diesem coolen und effizienten Antrieb, der entspannt, aber weder schlapp noch mühsam ist, oder einem leichtfüssigen und jederzeit sehr direkt zu Werke gehenden, dabei aber auch erheblich hektischeren Antrieb: Coolness vs. Spritzigkeit. Das ist keine leichte Entscheidung. In gewisser Weise zahlt man da für die Wahl des „Großrollers“ und der einzigartigen Getriebetechnologie. Man kommt gut vorwärts und fühlt sich nicht schwach motorisiert, aber eben vom herrlichen Vollgasschub einer MT-07 (meines Klassenvergleichs dank unserer Garagenausstattung) bleibt man deutlich entfernt.

Konkurrenzmodelle auf meiner persönlichen Liste?

Der X-ADV ist für mich im Moment das interessanteste käufliche Motorrad. Mir ist dies gerade auch im Vergleich zur bereits erwähnten Africa Twin klargeworden. Vor einem oder zwei Jahren war das die Neuerscheinung schlechthin, und sie ist sicher die Bigenduro für Leute, die es wissen wollen, aber abgesehen von der interessanten Technik kann ich ihr inzwischen nicht mehr so viel abgewinnen. Sie reiht sich in die Riege der Bigenduros und damit unter „ferner liefen“ ein. Es fehlt mir das Überraschende, das wirklich Neue, der Spaßfaktor. Abzuwarten ist die 700er Tenere (T7), die mit einer sensationell gestalteten Konzeptstudie aufmerken liess. Der Endurovergleich beschränkt sich selbstverständlich auf den im Marketingspeech üblichen “Adventure“-Einsatz. Ein echter Offroadeinsatz ist mit dem X-ADV kein diskutables Thema, und für mich wäre das auch mit einer 240kg Bigenduro kein Thema. Da käme bei mir die leider verkaufte WR250R oder eine Montesa 4Ride ins Spiel.

Im Bereich der Großroller gibt es allein schon vom Design her keine Konkurrenz zum X-ADV. Da müssen die anderen Hersteller nachlegen oder sich auf die althergebrachten Großrollerfreunde beschränken, welche mit dem X-ADV nichts anfangen können.
Technisch ist Honda mit dem DCT ohnehin nach wie vor einzigartig, und das scheint vorerst auch so zu bleiben. Ob andere Hersteller einen jahrelangen Vorsprung ggfs. aufholen können?

Design

Extrem technisch, ohne irgendwelche Anklänge an existierende Massenmodelle, Linie nach vorn orientiert, langer Radstand, kurzes Heck, zentral angeordnete Sitzposition, kompakter nicht hecklastiger Aufbau, allerdings bedingt durch den Motor recht breit; Hochwertig aussehende Alu-Schwinge, sowie eine USD Gabel mit feiner Bremsanlage. Die Instrumentierung ist absolut eigenständig gestaltet und erinnert an Rallyemotorräder, keinesfalls aber an existierende Rollermodelle. Extrem schön gemacht sind Gabelbrücken und Oversize-Lenker, was man in der Art bei Rollern meines Wissens nach bisher nicht vorfand. Die Sekundärtriebskette ist elegant weggekapselt.

Unter all diesen hochwertigen Details gibt es auch beim X-ADV hondatypische Hässlichkeiten wie diese groben Federbeinanlenkungs-Baustahlplatten oder den zumindest auf den Bildern irgendwie billig anmutenden Wippschalter für Tankklappe und Sitz. Dem tollen Gesamteindruck tut dies aber keinen Abbruch. Man könnte das Gewicht von 240kg kritisieren, aber Leichtbau steht bei Honda meistens nicht oben auf der Liste. Sehr erfreulich ist, daß beim X-ADV Speichenfelgen statt der vogonenhaft grobschlächtig und riefig gegossenen Felgen der NC Baureihe zum Einsatz kommen.

Das keyless Startsystem ist natürlich cool. Für mich ist es kein spezifischer Anreiz, aber vielleicht stellt es sich in der Praxis als angenehm raus. Mir würde es gefallen, wenn das sehr große Anzeigeinstrument irgendwie einen Zusatznutzen bieten würde, sei es als programmierbares oder wenigstens konfigurierbares Multifunktionsteil, aber gern auch als eine Art elektronisches Roadbook, GPS Tracker, Navi, Datarecording uswusf.. Die Anzeige sieht interessant aus, aber soweit ich das den bisherigen Videos entnehmen kann, bietet sie keinen Zusatznutzen über die normalen aktuellen Motorrad-Anzeigeinstrumente hinaus. Das zweite kleine Display mittig an der Lenkerklemmung finde ich umständlich, weil man dort vielleicht lieber ein Navi anbringen möchte. Diese paar Funktionen hätte man locker im rahmenfesten Haupt-Display unterbringen können, statt alles noch an den Lenker zu führen: meiner Meinung nach eine eigenartige Entscheidung.

Das 1000PS Motorradportal hat ein sehr informatives Youtube-Video zum Fahrzeug erstellt, das ich empfehlen möchte. Im Video wird einiges gesagt, was ich bereits von der NC her bestätigen kann. Ich denke mal, der X-ADV wird hier korrekt eingeschätzt und beschrieben.

Showstopper

Jetzt kommt der Haken an der Sache. Der X-ADV liegt preislich in einem Bereich, der für mich nicht mehr realistisch zu stemmen ist. Das Fahrzeug ist das Geld sicher wert, da will ich nicht jammern, aber man muß die Kohle ja irgendwie aufstellen. Honda bietet gute Finanzierungsoptionen an, aber das Abstottern wäre für mich zu langwierig. Ein Verkauf meiner R3 – erst seit Mitte 2016 in der Garage – wäre sowieso unumgänglich. Eigentlich habe ich mit diesem leichten Backroad Racer aber noch einiges vor, ein Verkaufsinteresse besteht noch überhaupt nicht. Somit setze ich den X-ADV erstmal auf die Liste. Ein Kauf kommt bis auf weiteres leider nicht in Frage, ist immerhin langfristig nicht auszuschließen. Eine weitere Sache gibt es, die mich von einem Sofortkauf abhalten könnte: Direkt nach dem Kauf der viel günstigeren NC700X im Jahr 2012 hatte Honda sofort mit Modellpflegemaßnahmen nachgelegt, welche insbes. das DCT, aber auch den Motor selbst betrafen. Schon das 2012er DCT war gut, aber nichtsdestotrotz habe ich mich als Technokrat damals über das schnelle Modellupdate geärgert. Alle Tests beschreiben nun das DCT des X-ADV als beeindruckend, aber nach der damaligen Erfahrung kann eine gewisse Kauflatenz sicher nicht schaden. Wer weiß, ob Honda nicht auch beim X-ADV nochmal gewaltig nachlegt. Bei dem Kaufpreis wäre das dann sehr betrüblich für den Erstmodellkäufer.

Erweiterte Einsatzmöglichkeiten?

Anyway, hoffentlich ergibt sich bald die erste Möglichkeit einer Besichtigung, evtl. sogar Probefahrt. Ein ganz wesentliches Merkmal wird die Sitzposition sein: sitzt man trotz Roller-Bauform wenigstens noch einigermaßen fahraktiv, was für mich die unverzichtbare Basis für etwas ambitionierteres Fahren ist, oder versinkt man hilflos in Fernsehsesselstellung? Von meiner damaligen Integra-Probefahrt weiß ich, daß dessen Sitzposition ein akzeptabler Kompromiss war. Auf den Honda Fotos sieht man, daß die Fahrerposition eher mittig im Fahrzeug als rollertypisch über dem Hinterrad ist, was – zusammen mit dem flach und weit vorne liegenden Motor – eine gute Gewichtsverteilung und somit Vorderradkontrolle gibt. Witzigerweise bietet Honda als Zubehör anscheinend weiter hinten positionierte Zusatzfußrasten an, welche das Fahren im Stehen gestatten. Das wäre in der Tat ein veritabler Kompromiss, falls man mit einem solchen Fahrzeug mal wirklich in sagen wir „etwas unwegsames“ Gelände geraten würde und die Federung entlasten müsste. Natürlich, man hat begrenzte Bodenfreiheit, nur 15″/17″ Räder ohne Stollenprofil, man wird keine harten Manöver zur Bewältigung von Hindernissen durchführen, und Sprünge o.dgl. würde ich mir ohnehin sofort verreiben. Dass aber der X-ADV mit seinen 15cm Federweg und dem extrem gutmütig ausgelegten Chassis der NC Reihe vollkommen problemlos auf nicht asfaltierten Straßen betreibbar ist, das bezweifle ich nicht. Dieses rollerartige Hybrid-Ding bildet meiner Einschätzung nach eine interessante Basis für allfällige Runden nach Italien & Co, auch wenn der Asfalt mal endet. Dafür brauche ich wirklich keine Weltreise-Grossenduro. Dennoch: Honda lässt sich da offenbar nicht lumpen, und bietet lt. den Pressefotos das komplette Sortiment an „Adventure-Zubehör“, was halt unsere Großendurofahrer so lieben: Zusatzscheinwerfer, Stahlbügel rundum, zusätzliche Verplankungen, Koffer, Kisten, blablub. Das soll mich nicht stören, an mein Fahrzeug käme sowas aber nicht dran. Es wäre hingegen voreilig, sich bereits Gedanken über Leichtbau zu machen, also welche Teile man augenblicklich entfernen könnte, um wenigstens ein paar wenige Kilo runterzukriegen.

Fazit

Ein wenig wird man sich vom herkömmlichen gewohnten Motorradfahren verabschieden müssen, bevor man sich zu einer solchen Investition entschließen kann, insbes. wenn man noch keine Erfahrungen mit DCT hat und nicht so recht weiß, worauf man sich einlässt. Und dann wird man zu einem Motorradfahren zurückfinden und feststellen, wie unglaublich cool das alles sein kann, und daß alles geht. Davon bin ich nach 4 Jahren mit einer NC überzeugt, ohne den X-ADV bisher selbst gesehen zu haben oder damit gefahren zu sein. Aus den bisherigen Erfahrungen weiß ich aber auch, daß mir persönlich das Leichtgewicht eben einer R3, WR250R oder gar eine kleinen Duke, aber auch der derbe Vollgasschub der hemdsärmeligen MT-07 beim Straßenbetrieb immer ein bisschen fehlen würde. Mein eigener Tradeoff müsste sein: „Coolness, Design, Effizienz, Technologie, Universalität“ vs. „Leichtigkeit, Einfachheit, Direktheit, geringe finanzielle Belastung“, und darüber könnte man nun seitenlang dahinlamentieren. Oder man trifft – Finanzkraft vorausgesetzt – eine Lustentscheidung für dieses saucoole Gerät und geniesst dann einfach a la „no brain no pain“. Auch ein guter Weg.

Update Mai 2017

Meine Eindrücke nach einer Erstbesichtigung sind hier beschrieben. Und hier (unten im Artikel) gabs dann endlich die Probefahrt.

Update April 2022

Dieser alte und sicherlich teils längst überholte Artikel zum X-Adv Erstmodell 2017 ist nach wie vor einer der stark frequentierten hier im Blog. Und nach wie vor bin ich ein Fan dieses technisch und visuell attraktiven Crossover Rollers von Honda. Es wurde ja bereits im Folgejahr nach der Neuerscheinung ein großes Modellupdate nachgeschoben, und inzwischen, Stand heute ist der X-Adv quasi generalüberholt in einem nochmal erheblich cooleren Design und mit knapp 60PS verfügbar und ist anscheinend eines der nachgefragtesten Honda Modelle bei uns. Das finde ich besonders spannend und erfreulich.
Ich bin aktuell mit dem Totalausstieg bei Verbrennungsmotoren befasst, bzw. eigentlich so gut wie durch. Das heißt ich investiere in ein vergleichsweise leistungsstarkes einspuriges Elektrofahrzeug, konkret tatsächlich eine Art Großroller mit ebenfalls coolem Design. Auf ein herkömmliches Motorrad verzichte ich fürderhin komplett. Dennoch bleibt der aktuelle X-Adv vor allem in der beigen Farbvariante mein Design-Favorit, und inzwischen glaube ich auch sagen zu können, daß unter den Verbrennern dieses Fahrzeug am ehesten das Potential zum Universal-Langstrecken-Langzeit-Motorrad bei mir gehabt hätte, wenn ich die Optionen Elektrofahrzeug mit entsprechender Anpassung meiner Usecases oder preisgünstiges supersparsames Verbrenner-Minimalfahrzeug (z.B. CB125R als Langstreckentourer) komplett verwerfen würde. Zweitfahrzeuge kommen längst nicht mehr in Frage, schon gar nicht in dieser Preisklasse. Also im Endeffekt ist der Zug abgefahren ohne daß ich jemals einen X-Adv besessen hätte, und die Wahrscheinlichkeit nochmal sowas zu kaufen ist in Anbetracht der aktuellen Entwicklungen verschwindend klein. Aber wie gesagt, das Ding gefällt mir aktuell besser denn je, ich würde es inzwischen nahezu allen konventionellen Motorrädern vorziehen, und ich freue mich, daß so ein Konzept sich durchsetzt am Markt.

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1 thoughts on “Honda X-ADV

  1. Eine sehr detaillierte, kenntnisreiche Fahrzeugvorstellung, bei der das „emotionale Moment“ und die klare Positionierung des Autors nicht zu kurz kommen.
    Kompliment!

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