Der bekannte Fahrradhersteller Surly war soweit ich mich erinnere immer ein Pionier mit maximaler Crossover-Mentalität. „Ride your bike wherever the hell you like…“ als Motto passt super, und ich behaupte aus meiner begrenzten Endverbrauchersicht, daß Surly so einige der aktuellen Fahrradtrends bereits viel früher vorweggenommen hat und in deren firmeneigener „Sprache“ mit eigenwilligen Modellbezeichnungen als Stahlrad realisiert hat. Beispielsweise die heute allgegenwärtigen Gravelbikes sind letztendlich daraus hervorgegangen, daß man ein schnelles Rad mit Dropbars oder relativ tiefem Lenker haben wollte, welches auch offroad funktioniert. Alle Roadbike-FahrerInnen wissen: man kann eine Straßentour in unbekanntem Terrain gar nicht so gut vorausplanen, daß man nicht irgendwann auf Schotter landet, und schon gar nicht bei uns im nur partiell kartografierten Niederbayern. Und solchermassen geeignete Räder gab es bei Surly schon vor ewigen Zeiten, aber halt in deren Designsprache und Ausprägung. Oder nehmen wir das geschätzte Big Dummy Longtail, wo gemeinsam mit der Firma Xtracycle ein total universelles Longtail-Packrad entworfen wurde, das super rollt, relativ leicht ist, ggfs. als moderates MTB verwendbar ist, ein hervorragendes Reiserad ergibt und eben dann auch gröbere Transporte oder Kindertransporte ermöglicht, und sogar ausgewachsene Personen konnten mitfahren. Mein Blog hier ist voll von Big Dummy Fahrten. Damals war bei uns das Thema Lastenrad noch auf wenige Nischenhersteller beschränkt. Das Big Dummy war eines meiner intensivst genutzten und beliebtesten Fahrräder überhaupt. Es gab später auch eine Fatbike Variante davon, das Big Fat Dummy, und nunmehr, ganz aktuell hat der Hersteller Tern dieses Thema des Expeditions-Transportrades mit dem Modell Orox aufgegriffen. Ich selbst hatte vor vielen Jahren mal eine Stoffsammlung eines ähnlichen Longtail-Fatbike Konzeptes im Blog, das ich damals (noch vor dem ursprünglichen Surly Moonlander Fatbike Modell) Lunar Explorer getauft hatte. Zur Anfertigung des Rahmens kam es nie, was gut ist, denn das wäre sicherlich technisch eskaliert. Aber ich bin ein bisschen stolz darauf, denn genau sowas gibt es heute eben wirklich zu kaufen, und die Bezeichnung scheint auch ihre Berechtigung gehabt zu haben.
Damit sind wir nun beim Thema Fatbike. Viele tun es als vergangenen Fahrradtrend ab. Surly war selbstredend mit dem verrückten Pugsley mit dessen asymmetrischem seitlich versetzten Hinterbau mit asymmetrischer Einspeichung des Hinterrades wieder extrem früh dabei. So konnte man mit einer „schmalen“ 135mm Nabe extrem dicke Reifen in den Rahmen pressen bei realisierbarer Kettenlinie. Die Gabel trickste ebenfalls herum: man hatte die Wahl zwischen 100mm Standard-Abstand und 135mm Breit-Abstand bei Verwendung einer Hinterradnabe im Vorderrad. Heutzutage ist das alles pillepalle, denn es gibt Quasistandards für Fatbikes, wie ich es beispielsweise am Canyon Dude vorfinde.
Während also die großen Hersteller das Konzept „Fatbike“ in ihrer Weise verfeinerten, aber dann eigentlich nichts extrem neues brachten, denkt Surly wieder 10 Jahre voraus und macht ein paar Sachen absolut richtig, welche die bei uns üblichen Hersteller einfach nicht umsetzen wollen oder können oder was weiss ich. Und deshalb ist und bleibt Surlybikes mit ihren Stahlrahmen für mich weiterhin ein wichtiger Pionier am Radmarkt, glücklicherweise groß genug, um einen Vertrieb in Deutschland zu haben. Ja, man kann den folgenden Wahnsinn bei uns kaufen! Grandios! Ich hatte ihn völlig übersehen und erst dank eines Forenbeitrags in einem großen MTB Forum entdeckt, den massiven, verrückten Surly Moonlander V2.
Es folgt als Einbettung im Blogartikel ein Youtube Video des Herstellers, alle Rechte bei Surlybikes.com!
Hier geht es zur Herstellerseite zu diesem Modell: https://surlybikes.com/bikes/moonlander-v2
Was jetzt?
Ich habe keine Vorstellung, was ich jetzt tun soll. Das Rad degradiert alle mir bekannten Standard-Fatbikes zu normalen MTBs. Ich verspüre selbstverständlich einen massiven Sog, dieses Rad mit 9-Gang Pinion Getriebe in die Garage zu holen, was zwar prinzipiell in Deutschland ohne weitere Umstände problemlos möglich wäre, aber mangels finanziellem Vermögen grade leider nicht geht. Preislich wäre das Ding weniger schlimm als man glauben möchte. Dieses Rad würde mein geschätztes Canyon Dude gnadenlos verdrängen, also ich müsste letzteres dafür verkaufen, es wäre obsolet. Dabei habe ich noch ein Exemplar in der wunderbaren original-fatrol Lackierung mit den ERTRO 559 (26″) Reifen.
Eine wichtige Sache, die Surly hier mal wieder super richtig macht, ist eben der mit 562mm Kettenstrebenlänge ausreichend bemessene Hinterbau. „Mid-Tail“ nennt sich so ein Rahmendesign offenbar. Die mir bekannten gängigen 460mm Kettenstreben gelten bei uns als lang, aber für Hillclimbs ist das schlicht zu kurz. Kurze Kettenstreben haben meiner Ansicht nach am Steilhang-Crawler-MTB nichts verloren, das ist einfach nur unsinnig. Es gibt neben dem Reifengrip zwei wichtige Limits: die fahrerische Kraft und das Überkippen des Rades (ok, und die Fahrtechnik). Fahrräder haben notgedrungen einen unangenehm hohen Schwerpunkt, sonst könnte der Mensch darauf nicht effektiv treten. Eine dynamische Geometrieveränderung beim Bergauffahren (Sattel und Lenker weit nach vorne) ist nicht realisierbar, also muss der Hinterbau entsprechend lang gestaltet werden.
Langer Rede kurzer Sinn: während sich unsere Hersteller quasi in Details des existierenden Konzeptes verlieren (was ich durchaus ok finde, beispielsweise das Dude ist ein wunderschönes Stück Fahrradtechnik), bzw. meistens gar keine Fatbikes mehr anbieten (temporärer Trend?) arbeitet Surly lieber an der Konzept-Evolution und bringt einfach etwas total krasses, das ich mir so bisher nicht vorstellen konnte: das finale Paris-Dakar-Dünenfahrrad. Und das ist tatsächlich etwas, was den Freak in mir weckt, was ich einfach haben möchte. Naja, geht jetzt nicht, also bleibts beim Reden. Irgendwann… 🙂