Zwift und Rouvy

Etwas weniger motiviert als bisher bin ich fahrradmäßig durch den Herbst gekommen, nicht untätig, aber auch nicht gerade hochaktiv. Vermutlich der Bequemlichkeit, dem Alter, dem Zeitmangel, was auch immer ist es geschuldet, daß ich seit längerem gerne Outdoorfitness durch Kellerfitness ersetze. Klar, wir hatten die Coronaphase und andere schwierige Zeiten, und ich will mich eigentlich auch gar nicht rechtfertigen, sondern nur ein paar aktuelle Eindrücke beschreiben. Das ist hier kein Test, kein Systemvergleich, keine Wertung, sondern mein derzeitiger Status. Ich nutze von beiden Systemen nur einen Teil der möglichen Funktionalität, kann also gar keinen vollen Überblick geben.

Status bisher

Die meiste Indoorzeit habe ich bisher mit dem Zwift System verbracht. Man kann dort viel machen, fühlt sich dabei ganz gut unterhalten und ist nie allein. Für jemand, der immer gerne allein Fahrrad gefahren ist, mag das ein komisches Argument sein.
Dennoch habe ich mehrfach zwischendurch die Alternative Rouvy ausprobiert, denn auch das Fahren durch Real Life Videos (wie damals lange Jahre mit Ergoplanet und dem uralten Daum TRS 8008 Hometrainer mit seriellem zusammengefrickeltem Kabel) hat seine Reize. Es ist weniger Gehechel und Herumgemache wie beim supergschaftigen dauerblubbernden Zwift, dafür kann es auch mal etwas zäh, langwierig und einsam (aka ruhig) werden, wie beim echten Radeln halt.
Bei den früheren Versuchen wirkte Rouvy vielleicht noch ein wenig spröde, weil Video ist einfach Video, mit Vor- und Nachteilen, keine Effekte, kein Sound. Die von der Software im Video eingeblendeten augmented Reality Radfahrer waren schon immer ganz cool, wirkten zuweilen aber auch noch etwas gestelzt und starr. Auf jeden Fall ist für meine Begriffe Rouvy total anders wie die Zwift Game-Landschaft, was auch seinen Reiz ausmacht. Der ganz große Punkt für Rouvy ist die Tatsache, daß man echte Traumstraßen im Video abfährt, und da gibt es theoretisch alle bekannten Radfahrhighlights zum Download. Du kannst auf Rouvy wenn du willst abends das Stilfser Joch fahren, oder jeden anderen bekannten Pass, während andere Menschen fernsehschauen.

Wechsel auf Rouvy

Heute muß ich aber nach der langen Rouvy Abstinenz sagen, daß die ihr System perfektioniert haben. Die Kombination aus Streckenvideo mit Computer-Radfahrern gelingt mittlerweile phantastisch, so daß ich mich echt frage, wie die das hinkriegen. Inzwischen neigen sich die Fahrradfahrer in Schräglage, wie man es auch von Zwift immer gewohnt war. Du spürst Fahrdynamik. Die Streckenmarkierungen werden perspektivisch perfekt in die Videolandschaft eingebaut. Hammer. Man hat eine sehr realitätsnahe Kameraperspektive, und bei manchen Streckenvideos sogar stets mehrere Kameraperspektiven zur Auswahl wie in Google Earth. Kurzum, man fährt gefühlt im Video, und wenn man z.B. über Speedbumps drüberrollt, kriegt man echt sensorische Fehlimpulse, weil das Fahrrad im Hometrainer gar keinen Schlag abkriegt. Das fühlt sich total verrückt an. Das Hirn fährt auf jeden Fall voll mit. Und neuerdings hat man auf Wunsch virtuelle Begleitfahrer in einstellbarer Zahl dabei, die sich an die Geschwindigkeit anpassen, aber schon auch ein gewisses Eigenleben haben, also nicht stur auf den Meter gleichauf mitfahren. So realistisch die Fahrradfahrer inzwischen wirken, gibt es aber auch Einschränkungen. Bei bestimmten Perspektiven, sehr kurvigen Strecken beispielsweise werden sie manchmal kurzzeitig nicht angezeigt.

Ich mochte bisher beide Systeme gern, habe aber viel mehr Zeit mit Zwift zugebracht. Preislich schenken sie sich nichts. Zwift ist etwas flexibler mit Abo-Unterbrechungen, dafür spart man bei Rouvy etwas, wenn man ein längeres Abo abschliesst. Ich konnte aktuell eine Preisaktion nutzen. Somit fahre ich jetzt 6 Monate durchgehend Rouvy und bin bereits gespannt, ob und wann mir Zwift ernsthaft abgehen wird. Derzeit gefällt mir Rouvy besser denn je, das kann man mal sagen. Es ist auch viel mehr los wie früher. Meistens hat man also auch andere echte Fahrer „in der Nähe“, ähnlich wie bei Zwift. Nur nicht in den Zwift-typischen Pulks und Menschenmassen, sondern hier ist alles etwas ruhiger. Und natürlich muß man sich die Streckenvideos geschickt aussuchen, denn an deren Qualität hängt auch viel vom Fahrgenuß.

[Update 08/2023] Nach sehr vielen Fahrten auf Rouvy, dazwischen auch einzelne Zwift Sessions, sowie regelmässig Outdoorfahrten scheint mir die sportliche Belastung, also insbesondere der erzielte Fahrtschnitt ziemlich optimistisch berechnet, auch abhängig vom gewählten Rad. Mein aktuell gefahrenes Rouvy Aero Rad scheint merklich schneller als die bisherigen Standardräder. Bei Zwift sind die Fahrtschnitte ebenfalls recht hoch, aber es kommt einem zumindest subjektiv „anstrengender“ vor, eventuell wegen der starken Welligkeit vieler Strecken. Solange ich nur zur eigenen Fitness fahre, ist das relativ egal. Man hat allerdings eine gewisse Verfälschung der im Garmin Connect gesammelten Jahreskilometer, wenn die Kellerkilometer wirklich weniger wert sind als die Draussen-Fahrten. Der beschriebene Eindruck ist sehr subjektiv, messen kann ich das nicht. Die Geschwindigkeitszahlen im Keller sind höher als draussen. Leistungsmessung besitze ich am normalen Rad leider keine.

Da ich kein Radsportler oder gar Rennfahrer bin, sondern einfach nur als Breitensportler etwas für meine Fitness tun möchte, stellen sich bei mir keine Fragen zu irgendwelchen Onlinerennen, Onlinewertungen, Leistungsgruppen usw.. Zu diesem heißen vieldiskutierten Thema kann ich also garnichts sagen. Workouts gibt es in beiden Systemen. Bei Zwift habe ich bereits mehrere Trainingspläne durchprobiert. Dort ist das ganz klar und nachvollziehbar organisiert. Bei Rouvy gibt es wenig Struktur oder Führung. Ich ersehe bisher keine Trittfrequenz-Anhaltspunkte während eines Workouts. Trainingspläne in dem Sinne habe ich nicht gefunden. Es gibt gruppierte Workouts mit einer Reihenfolgeempfehlung. Weit eingestiegen bin ich bei Rouvy in dieses Thema bisher nicht, insbesondere habe ich mich nicht mit extern angebundenen Systemen befasst (Trainingspeaks beispielsweise), so daß ich deren Möglichkeiten nicht ausloten kann.

Wer sich auf häufige Fahrten in Gruppen, großen Aktionismus, ständige Events, viele Kontakte, Chats, Messages, Sprints, Vergleiche steht, wird in Zwift heimischer werden. Rouvy ist ruhiger, aber mehr der Genuß des echten Radfahrens, finde ich. Ein super Zwift Feature, das mir in Rouvy bisher fehlte, ist die einstellbare Trainerhärte. Das ist quasi ein kleineres Softwarekettenblatt. Damit kann ich die zu lange wirkliche Übersetzung des Fahrrades auf dem Smarttrainer für Bergetappen runterrechnen, so daß die mechanische Belastung für Mensch und Material geringer wird. Man radelt in der Simulation dann halt entsprechend langsamer den Berg hoch, alles bleibt realistisch. Das ist nicht nur ein „Convenience-Feature“, sondern es dient auch der langfristigen Haltbarkeit der Smarttrainer-Elektrik. In Rouvy gibt es neuerdings einen einstellbaren Reality Level, dessen Beschreibung tatsächlich ähnlich klingt wie die Trainerhärte. Die Beschreibung des Features lässt mich allerdings im Unklaren, ob die effektive Fahrleistung bei abgeregeltem Reality Level noch den Streckenbedingungen entspricht, oder ob es einfach nur „leichter geht“. Rouvy erlaubt die Einstellung jedenfalls nicht für den Zeitfahrmodus, den man für die vielen kleinen Challenges zum Punktesammeln gerne benutzt.

Speziell gut bei Rouvy finde ich dann andererseits die Verknüpfung mit Familienmitgliedern im Abo (dies wurde inzwischen leider abgeschafft, bzw. es wird extra verrechnet, also Partner/in fährt vergünstigt), sowie eine Unterbrechungsmöglichkeit von Strecken im normalen freien Fahrmodus. Du kannst lange oder steile Strecken in mehreren Etappen fahren, sofern eben nicht der Zeitfahrmodus gewählt ist. Das spornt an, auch mal derbere Strecken zu versuchen.

Screenshots beider Systeme

Update Ende 2023

Dieser Zwift/Rouvy Blogpost ist einer der stark frequentierten Artikel hier im Hobby- und Feierabendblog. Es sei deshalb nochmals darauf hingewiesen, daß dies weder Test noch Wertung darstellt, sondern ausschließlich ein Statusbericht anhand meiner sehr begrenzten nicht radsportlichen Nutzungsweise ist, wie oben im Text bereits gesagt. Ich fahre da halt herum und mache gelegentlich Workouts.

Neu in Zwift

Aktuell habe ich nun mal wieder Zwift abonniert und mir die Neuerungen angesehen. Da gibt es einiges an interessanten Dingen: die Watopia Südküste mit ihren vielen neuen Streckenvariationen macht mir Spaß. Die spacigen Kletterportale (Climb-Portals) sind eine verrückte Idee und bringen speziell für Bergfahrerinnen neue Möglichkeiten und Reize ins Spiel, auch wenn mir die Landschaft fehlt. Beim Bergfahren hat Zwift ja den Vorteil der materialschonenden Trainerhärten-Einstellung, sowie hier eben des Sektionstimings. Beim von Rouvy angebotenen „Reality Level“ weiß ich nach wie vor nicht, ob das realistisch bleibt. Ich vermute es allerdings schon. Dieses Thema ist oben bereits beschrieben. Was bei Zwift immer schon witzig war (also keine Neuerung!), sind die häufigen kleinen (und manchmal größeren) Sprints in den Strecken. Man ist ständig gefordert, ob man es sich mal schnell im Sprint voll besorgt, den eigenen PR knackt, oder ob man stoisch im Trott weiterfährt als ob nichts wäre. Die neue Watopia Südküste bringt 4 neue Sprints, alle so grob 400 bis 500m lang. Was mir noch aufgefallen ist: Zwift berechnet nun automatisch die Fahrerklasse (D-A) anhand der bisher gefahrenen Leistungen und schreibt sie ins Profil. Ich glaube, das gab es früher nicht. Dies hat Sinn, wenn man bei klassifizierten Groupevents oder gar Races mitfahren will. Dann braucht man da keine fragwürdige Selbsteinstufung vorzunehmen.

Levelsystem

Meine neuerliche Zwift Subscription fiel genau in den Zeitraum eines Updates, wo Zwift sein Fahrer-Level-System überarbeitete. Auch Zwift hat nun (genau wie Rouvy, wenn ich mich nicht irre) 100 Level statt wie früher 50 oder 60. Nur geht es jetzt viel schneller mit dem Aufstieg. Ich musste mich noch supermühsam von 39 auf 40 hocharbeiten, dann kam das große Update, und im Nu hatte ich Level 41 voll. Das geht jetzt ratzfatz, also ganz anders wie früher mit 50 oder 60 Stufen. Wie es sich im Vergleich zu Rouvy verhält, ist schwer zu sagen. Bei Rouvy konnte man es immer mit Hilfe der ständigen Challenges beschleunigen, und dort ging es auch von Haus aus viel schneller als bei Zwift-alt. Jetzt könnte es entfernt vergleichbar sein, mehr traue ich mich nicht dazu zu sagen. Beide Systeme haben dieses Levelsystem mehrmals überarbeitet, und ich sage offen, ich habe mir die früheren Werte wie man sieht nicht akribisch gemerkt. Es ist gut möglich, daß die obigen Zahlen von mir verwechselt wurden! Qualitativ ändert es nichts an der beschriebenen Aussage, daß man neuerdings auf Zwift viel schneller hochleveln kann, dafür auch viel weiter hoch muß. Und in Wirklichkeit ist es komplett egal. Rouvy exponiert den aktuellen Fahrerlevel mittels Farbschema allgemein sichtbar. Zwift verbirgt den Level in der Fahr-Ansicht. Dort sieht man es nur im Fahrerprofil und – wenn man sich gut auskennt – an der Fahrerausrüstung.

Was nehme ich jetzt also?

Aus heutiger Sicht des Breitensportlers ohne radsportliche Ambitionen möchte ich nochmal sagen: beide Systeme funktionieren bei mir tadellos und zuverlässig mit dem Tacx Neo 2T Smarttrainer über ANT+ auf einem alten Core i7 Windows 10 Notebook mit einer Nvidia Geforce GTX Grafik. Es gibt keinen Grund, eines davon weniger zu empfehlen als das andere. Man muß wirklich selbst ermitteln, wo man sich besser fühlt, was den eigenen Radfahrgepflogenheiten näher kommt, und was man sich dann leisten will.
Kostenmässig gab es während meiner mehrjährigen Nutzungsdauer die stärkeren Vergünstigungen bei Rouvy, so daß ich dort fast immer deutlich rabattiert unterwegs war. Der unvergünstigte Standardpreis des Monatsabos von ca Eur 15.- bei beiden Systemen läppert sich nämlich schon ein wenig übers Jahr, wobei ich absolut keine Bewertung vornehmen möchte, denn ich schätze beide Fitnessmotivatoren gleichermassen. Es ist super, daß es sowas gibt. Nun, eine erneut starke Rabattaktion ist der Hauptgrund, warum ich nach dem schönen und unterhaltsamen Zwift Intermezzo während des Jahreswechsels aufs Neue für ein ganzes Jahr zu Rouvy gehe: Unterm Strich letztendlich also ein schnödes Kostenthema!
Ok, nicht ganz, ein zweites Argument gibt es doch. Bei mir stellt es sich immer mehr als wichtig heraus, die Kellerfitness mit gedämpfter Intensität zu betreiben. Beispielsweise der Zwift Build Me Up Trainingsplan wird gegen Ende derb und fordert einen grenzwertig. Bis vor ein oder zwei Jahren war mir das eine gewünschte Herausforderung. Inzwischen brauche ich das nicht mehr. Im Gegenteil, eine regelmässige hohe Intensität schadet meinem Immunsystem mehr als sie nützt. Hier muß ich mich umstellen und quasi die Lust an Leistung und semikompetitiven Gruppenfahrens ersetzen durch eine schöne Landschaft, neue unbekannte Strecken, sowie viel Zeit auf dem Trainer. Das ist etwas, was für mich beim „ruhigeren“ Rouvy mental besser funktioniert.
Dies widerspiegelt sich übrigens auch beim Outdoor-Radeln! Neben meinem technischen Interesse ist es genau dieser Punkt, warum das jüngst angeschaffte Yoonit Cargo Bike mir dringlich war. Denn dabei geht es zunächst mal ums Radfahren als Transport, erst in zweiter Linie um den Sport. Ich bin gespannt, wie sich das einspielt.

Tour de Zwift

Update Januar 2024: Was bei Zwift immer wieder Freude macht, sind die großen motivierenden Fahrserien für alle FahrerInnen und Leistungsklassen, speziell gerade die Tour de Zwift, aber auch zahlreiche andere. Man fährt dort nach Wunsch entspannt ohne Race-Modus mit (das „entspannt“ misslingt regelmässig, man muss sich zusammenreissen) und bekommt dann für die Teilnahme ein nettes Outfit für die eigene Spielfigur. Ich schreibe es, weil ich noch die aktuelle 2024er Tour de Zwift begonnen habe, und mir das spezielle Outfit, vor allem der Hut ungemein gefällt. Diese Tour muß ich auf jeden Fall noch beenden, und sowas macht mir Spaß. Das ist bei Zwift wirklich cool und wäre für meinen Geschmack ein Argument für Zwift.

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